Heute begleitete ich eine Gruppe aus eingefleischten Zürchern. Mit solchen Gruppen on tour zu sein, beflügelt mich. Denn es lässt mich aus dem ganzen Repertoire schöpfen. Und jedes Mal freue ich mich besonders, wenn ich mit Geschichten aufwarten kann, die gar Einheimische überraschen. Wie zum Beispiel diese - an der Ecke Rennweg/Widdergasse inmitten Zürichs:
Da steht das einzigartige Hotel Widder. Es entstand in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts aus acht heruntergekommenen Altstadthäusern, sozusagen als Krönung der umfassenden Sanierung des gesamten Augustiner-Quartiers. Die baufälligen Häuser gehörten der damaligen SBG (Schweizerischen Bankgesellschaft). Seit 1970. Die Eigentümerschaft prüfte mannigfaltige Verwendungsmöglichkeiten der Räume. Schliesslich wurde die Idee eines Hotels auf den Tisch gebracht. Damit begann eine Odyssee sondergleichen.
Uralte Geschichte trifft auf Moderne
Der Rennweg war während Jahrhunderten die Hauptstrasse in Zürich. Bereits in römischer Zeit verlief hier ein antiker Strassenzug nach Aquae Helveticae (Baden), später wurde es eine repräsentative Handelsgasse. Die archäologischen Untersuchungen in den acht Liegenschaften brachten baugeschichtliche Entwicklungsschritte aus zwei Jahrtausenden zu Tage. Dementsprechend verzögerten sich die Arbeiten der Archäologen und Denkmalpfleger: Statt der vorgesehenen sechs Wochen wurden es 18 Monate. Das Projekt wurde währenddessen sechsmal abgeändert, strapazierte die Nerven und Geduld aller Involvierten. Tilla Theus war als Architektin federführend. Ihr gelang schliesslich der Spagat zwischen Wahren alter und Eingliedern neuer Bausubstanz. Das Alte wurde sichtbar gemacht und Neues eigenständig, mutig hinzugefügt.
Mit Argusaugen bewacht
Während sieben Jahren wachte Tilla Theus mit Umsicht und Gewissenhaftigkeit über ihr monumentales Werk. Schliesslich, als das Gerüst endlich abgebaut war, liess die Baumeisterin ihren Blick über die Fassade streifen. Plötzlich stockte ihr der Atem. Was sah sie da? An der oberen Hausecke Rennweg/Widdergasse sass eine schwarz-weiss gemusterte Katze. Frisch auf die Fassade gemalt. Ein Denkmalpfleger hatte diese Katze in einer Nacht-und-Nebel-Aktion zu Ehren von Tilla Theus an die Wand gezaubert. Die gefeierte Architektin hatte «ihre» Häuser während der Umbauzeit wie eine Katzenmutter verteidigt. Bei genauerem Hinsehen lässt sich erkennen, dass die Katze eine Brille trägt. Genau das Modell, das Tilla Theus während des gesamten Umbaus zu tragen pflegte.
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